Quantcast
Channel: Vergewaltigung – Karnele
Viewing all articles
Browse latest Browse all 14

Dasselbe sehen und nicht das Gleiche

$
0
0

Morgen ist Valentinstag, wenigstens behauptet das die Werbung von Fleurop und mon cheri. In meiner filter bubble heißt der Tag anders, hier wird vom V-Day gesprochen und nicht zum Konsum aufgefordert, sondern über die geplanten Aktionen für One Billion Rising berichtet. Die rein zufällige zeitliche Nähe zu #aufschrei hat sogar die Medien außerhalb des Internets für ihre Verhältnisse recht früh schnallen lassen, dass dieses Jahr am 14. Februar einiges anders als gewohnt laufen soll.

Gelegentlich führt die Verbindung von Valentinstag und V-Day zu großer Verwirrung, wie mir die Unterhaltung mit einem Elfjährigen zeigte. Früher hätten sich an diesem Tag Liebende gegenseitig Geschenke gemacht, meinte er. Heute würden die Frauen tanzen, weil sie nicht von Männern verprügelt werden wollten und die Männer würden ihnen zur Entschuldigung was schenken. Seine Informationen verdankte er Gleichaltrigen und einer Sportlehrerin, die mit den Mädchen den Tanz geübt hatte. (Kommentare über unser Schulsystem spare ich mir jetzt.)

In den letzten Wochen meldeten sich auch kritische Stimmen zu One Billion Rising. Besonders die Tanzerei stößt nicht überall auf Begeisterung, weil sie Gewalt gegen Frauen verharmlose. Tatsächlich eine zwiespältige Geschichte und davon abgesehen würde ich gegebenenfalls lieber einen Demonstrationszug anführen oder eine Rede vor großem Publikum zum Thema halten als auch nur drei Tanzschritte in der Öffentlichkeit aufzuführen. Was nichts mit meinem Alter zu tun hat, das wäre auch schon vor 30 Jahren so gewesen. Die Liebste hingegen, die sich mit »Politikram« nur ungern beschäftigt, war von der Idee des Tanzens total begeistert. Endlich mal eine Protestform, die ihrem Wesen entgegenkommt.

Das Video One Billion Rising Kurzfilm habe ich zwar hier auf den Blog gestellt, bis letzte Woche mir aber nur einmal angesehen. Die erste Hälfte triggert einfach zu sehr. Dann wurde eine Erklärung von GLADT e.V. verbreitet und irritiert fragte ich mich, ob hier wirklich von demselben Video die Rede war. Es kostete mich zwar einige Überwindung, trotzdem ich habe es mir gestern und heute ein zweites und drittes Mal angesehen und mit dem Text verglichen.

So wird zum Beispiel eine Schwarze Frau gezeigt, die von einem Schwarzen Mann vergewaltigt wird.

Genau wie die Lesben in meiner Umgebung habe auch ich diese Szene automatisch und ausschließlich mit schwarzen Lesben aus Südafrika in Verbindung gebracht, mit systematisch geplanten corrective rape, mit all den Berichten, die ich in den letzten Jahren darüber gelesen und gesehen habe und die bei mir Trauer und Ekel ausgelöst haben[1].

Die einzige weiße Frau, die in dem Video gezeigt wird, befindet sich in einem modernen Büro und wird von ihrem Chef am Hals gestreift, was sicherlich auch gewaltvoll, aber nicht mit den anderen Vorkommnissen zu vergleichen ist.

Vielleicht könnten die Verfasser_innen es ja vergleichen, wenn bei ihnen ähnliche Assoziationen wie bei mir abgelaufen wären: Diese Frau kann ihren Job nur behalten oder gar Karriere machen, wenn sie sich von ihrem Chef vergewaltigen lässt?

Schwarze Frauen und Women of Color sind ausschließlich diejenigen, die sexualisierte Gewalt erfahren und Schwarze Männer / Men of Color ausschließlich diejenigen, die sie ausüben.

In einer Episode des Videos wird eine Frau gezeigt, die mit ihrer Tochter flüchten will, dem Mann nicht entkommt und schließlich liegt sie mit einer blutenden Kopfwunde auf dem Bauch. Beim ersten Ansehen habe ich die Frau, den Mann, die Tochter als Weiße »verbucht«. Oder genauer: ich hätte sie als Weiße wahrgenommen, wenn ich mir in dem Moment überhaupt darüber Gedanken gemacht hätte. Was ich aber nicht getan habe, das kam erst beim zweiten und dritten Mal, beim bewussten Hinschauen nach dem Lesen der Erklärung von GLADT e.V.. Vielleicht türkisch, jüdisch? Stimmt was nicht mit der Farbkalibrierung meines Bildschirms? Oder ist der Satz etwa so gemeint, dass diese Frau »nur« verprügelt und nicht auch noch vergewaltigt wurde – was bei mir anders angekommen ist?

An diesem Punkt angelangt, packte mich die Wut. Was für eine gequirlte Scheiße, wieso lasse ich mich überhaupt dazu verführen, über so etwas nachzudenken? Die Erklärung von GLADT e.V., einer Organisation, die ich bisher respektiert und deren Arbeit ich für sehr wichtig gehalten habe, löst bei mir etwas aus, was in meiner Kindheit und Jugend den vielen Lehrer_innen mit ihren unterschwelligen Naziparolen über »Rassen« nicht gelungen ist: Unter dem Vorwand, beinah schon einer Zwangsvorstellung, etwas begreifen zu müssen, versuche ich, Menschen nach ihrer Hautfarbe zu sortieren.

Das Tüpfelchen auf dem i ist schließlich noch die Bemerkung:

Die einzige Muslima, die in dem Video vorkommt …

… weil eine Muslima WORAN erkennbar ist? An der Kleidung? Am Kopftuch? An der Augenfarbe?

Ja, das Video ist voller Stereotype, um zu zeigen, dass Gewalt gegen Frauen nicht auf eine ethnische Herkunft, einen Kontinent, beschränkt ist. Möglich, dass man die eine oder andere Situation vielleicht anders/besser hätte darstellen können. Genau wie auch GLADT e.V. ein paar andere Formulierungen hätte verwenden können.

Und was meiner Meinung nach bei diesem Video wirklich fehlt: Die Darstellung von Gewalt gegen alte Frauen. Sie hört nämlich nicht einfach irgendwann auf, egal an welchem Ort auf dieser Welt.


[1] Korrektive Vergewaltigungen sind kein Problem, das sich auf Südafrika beschränkt. Vorstufen dazu erleben auch Lesben in unserem Land, welche hat noch nicht wenigstens einmal den berüchtigten Spruch: „Du müsstest nur mal richtig durchgefickt werden …“ gehört?


Viewing all articles
Browse latest Browse all 14

Latest Images